Mandarin-Granat
Wie ein feuriger Komet am Abendhimmel erschienen die ersten Mandarin-Granate vor etwas mehr als zehn Jahren plötzlich im Edelstein-Handel. Spezialisten und Edelstein-Liebhaber waren sich alle einig: die prächtigen Farben und die hohe Brillanz dieser orange-roten Schätze sind einzigartig. Um welche Art von Edelsteinen handelt es sich und wo kommen sie?
Schließen Sie die Augen und träumen Sie ein wenig: Afrika. Im Nordwesten von Namibia. Der Abendhimmel leuchtet orange-rot über den stillen Bergen und einem einsamen Fluss. Die nächste Siedlung ist etwa neun Autostunden entfernt. Die Temperaturen hier sind extrem: im Sommer steigen sie auf 40 bis 50 Grad Celsius, im Winter fallen sie fast bis zum Gefrierpunkt. Hier, fernab jeglicher Zivilisation, windet sich der Kunene-Fluss seit Jahrhunderten durch die Hügel entlang der Grenze zwischen Namibia und Angola. An diesem abgelegenen Ort, einem der wenigen noch unberührten Plätze auf der Erde, wurden 1991 die ersten Mandarin-Granate entdeckt. Eingebettet in Glimmer und Glimmerschiefer wurden die kleinen Kristalle mit ihren ungewöhnlichen Farben und der hohen Transparenz dort entdeckt, wo sie vor Millionen von Jahren zu wachsen begannen. Und sie zogen sofort die Aufmerksamkeit der Spezialisten auf sich. Die gemmologischen Prüfung bestätigte die anfänglichen Vermutungen: Es wurden seltene orangene „Spessartin“-Edelsteine aus der großen, bunten Granat-Familie gefunden. Bis dahin hatte man Spessartine in Sri Lanka, Oberbirma, Madagaskar, Brasilien, Australien, Kenia und Tansania gefunden, dennoch waren sie im Schmucksegment praktisch unbekannt und bedienten vor allem die Interessen der Edelstein-Liebhaber und Sammler. Der Grund für dieses Schattendasein war einfach: Steine mit sehr guter Farbe und Qualität wurden bis dahin nur sehr selten gefunden. Die phantastischen Kristalle aus Namibia besitzen ein ungewöhnlich feines und intensiv leuchtendes Orange. Man glaubt das reiche Rot-orange des letzten Abendlicht funkelten zu sehen, selbst wenn die Sonne schon lange hinter dem Horizont verschwunden ist. Sie sind schöner und strahlender als Alles was davor gefunden wurde. Und sie haben kaum Einschlüsse die das brillante Bild dieser „Edel-Granate“ stören.
Schnell fanden die Rohkristalle über wenige Edelsteinschleifereien ihren Weg auf den Markt. Die meisten von ihnen waren facettiert, dies war der beste Weg ihre unvergleichliche Farbe und Brillanz hervorzubringen. Leider war das Bergwerk am Kunene-Fluss schon nach kurzer Zeit erschöpft. Zu Beginn wurden die Edelsteine dort direkt an der Oberfläche gefunden, nach und nach musste man aber tiefer und tiefer graben da die Ausbeute immer kleiner und die Kosten höher und höher wurden. Schließlich wurde die Suche eingestellt. Weitere Erschließungen im abgelegenen Buschland Namibias hätten zu viel Aufwand erfordert und erwiesen sich daher als zu teuer. Händler und Edelstein-Liebhaber bedauerten sehr, dass diese Edelsteine, die so schnell eine begeisterte Anhängerschaft gewonnen hatte, jetzt nur noch gelegentlich aus den Restbeständen von wenigen Schneidzentren verfügbar waren.
Eine echte Rakete
Innerhalb kürzester Zeit waren diese schöne Edelstein wie eine Rakete bis in den Himmel der internationalen Schmuckszene geschossen. Um seinen Namen hatte es etwas Gerangel unter Gemmologen und Edelsteinhändler gegeben. Einige nannten die wunderschönen orange bis orangeroten Brillanten nach ihrem Fundort „Kunene-Spessartine“, andere sprachen von „Hollandines“. Im internationalen Handel aber setzte sich der illustrative Name „Mandarin-Granat“ schnell durch. Unter diesem Namen begannen die feurigen orangenen Edelsteine auch ihrer Welteroberung. Es war ein passender Name, und er ist bis zum heutigen Tag geblieben. Glücklicherweise blieb der Kunene-Fluss nicht das einzige Fundgebiet. Etwa im April 1994 erschienen neue orangene Spessartine im Handel, diesmal aus Nigeria. Sie waren den Mandarin-Granaten aus Namibia in Farbe und Glanz sehr ähnlich, auch wenn erfahrene Spezialisten einige feine Unterschiede erkennen können. Ihr Fundgebiet liegt tief in der südwestlichen Ecke von Nigeria, nicht weit entfernt vom benachbarten Benin. Die Mine liegt in einem Flussbett im Buschland. Während der Regenzeit ist es erforderlich, ständig Wasser aus den Gruben zu pumpen. Granat-Spezialist Thomas Lind aus Idar-Oberstein war von der Attraktivität des neuen Fundes begeistert: „Es kamen einige schöne, strahlende orange Mandarin-Granaten aus Nigeria in den Handel, und unter ihnen gibt es immer wieder Steine in Größen von über einem Karat. Ich bin erfreut sagen zu können, dass sich das Angebot im Handel verbessert und der Lieferumfang dieses einst so seltenen Edelsteins inzwischen stabilisiert hat“. Jetzt sind Mandarin-Granaten wieder in einer ausreichenden Mengen verfügbar, auch wenn qualitativ hochwertige Steine extrem selten sind.
Orange symbolisiert Lebensfreude und Individualität
Was macht den Mandarin-Granat so besonders? Erstens natürlich seine Farbe: das strahlende Orange, manchmal mit leichten braunen Untertönen, im gesamten Farbtonumfang von reifen Pfirsichen, also tief rot-orange. Farben die Energie und Lebensfreude, Individualität und Risikobereitschaft symbolisieren. Eine Person die Orange trägt verspürt keine Angst. Diese Farbe bedeutet Selbstvertrauen! Unverkennbar ist es eine durch und durch extrovertierte Farbe. Aber Orange ist mehr als das: zum Beispiel spielt es in der asiatischen Kunst eine viel wichtigere Rolle als in Europa. Dort werden Götter oft in orangefarbene Gewänder gekleidet, und selbst der Himmel wird oft in Orange dargestellt. Gelb und Rot, die Farben aus denen Orange gemischt wird, sind keine Gegensätze in Asien. Sie gehören zusammen! Die Gewänder buddhistischer Mönche sind orange und bestehen aus einem einzelnen Stück Stoff. Orange steht für das ganzheitliche Leben. Das ganze Sein ist ein ständiges Wechselspiel zwischen dem aktiven männlichen Prinzip Yang und dem passiven weiblichen Yin. Die Beiden sind keine Gegensätze sondern durchdringen sich ständig. Leben bedeutet Wandel – und Orange symbolisiert die ständige Veränderung wie keine andere Farbe.
Abgesehen von seiner herrlichen Farbe hat der Mandarin-Granat auch noch andere guten Eigenschaften die ihn zu einem einzigartigen Edelstein machen. Zum Beispiel seine Härte. Er ist ein unkomplizierter Edelstein und ein idealer Begleiter für alle Gelegenheiten. Außerdem sein hoher Lichtbrechungsindex der ihm eine ungewöhnlich starke Brillanz verleiht. Selbst bei ungünstigen Lichtverhältnissen funkeln kleine einschlussfreie Mandarin-Granate im Brillantschliff noch mit großer Lebhaftigkeit. Und dann ist da natürlich noch seine Seltenheit. Niemand kann sagen, wie lange sich die zuverlässige Versorgung des Handels mit diesem Edelstein noch aufrecht erhalten lässt. Farbe, Brillanz, Härte und Seltenheit kommen in diesem Edelstein zusammen. Gleichzeitig ist er schön und leicht zu pflegen. Der Stein ist also etwas ganz Besonderes. Individualisten mit einem gut entwickelten Sinn für Stil können da nur sagen: „Das ist mein Stein!“.